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Krankenkasse: Kleinselbstständige sollen Höchstbeiträge zahlen

Hohe Nachzahlungsforderungen von Krankenkassen können Selbstständige in den finanziellen Ruin treiben. Seit Jahresbeginn melden sich vor allem Kleinselbstständige bei uns, die Tausende Euro zahlen sollen, obwohl sie keine entsprechenden Einnahmen hatten. Der Grund: Sie haben der Krankenkasse ihren Steuerbescheid nicht rechtzeitig vorgelegt.

Frau mit 100-Euro-Scheinen in der Hand

Das Wichtigste in Kürze

  1. Seit Jahresbeginn erhalten zahlreiche freiwillig versicherte Kleinselbstständige massive Nachzahlungsaufforderungen von ihrer Krankenkasse für das Jahr 2019, weil sie ihren vollständigen Steuerbescheid nicht fristgerecht vorgelegt haben.
  2. Die Krankenkassen meinen, dass sie von den Betroffenen den Höchstbeitrag nachfordern können und akzeptieren keine nachgereichten Unterlagen.
  3. Die Verbraucherzentralen sind der Auffassung, dass nachgereichte Unterlagen im Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden müssen und fordern dringend eine Klarstellung durch die Politik.
  4. Die Verbraucherzentrale Hamburg rät zum Widerspruch und gegebenenfalls einer Klage vor dem Sozialgericht. Ratsuchende können sich an die Patientenberatung der Verbraucherzentrale wenden.
Stand: 14.06.2023

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel den Stand der Dinge zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wiedergibt. Mehr über die aktuelle Rechtslage lesen Sie in diesem aktuellen Beitrag.

Bei uns melden sich seit Jahresbeginn zahlreiche freiwillig krankenversicherte Kleinselbstständige, die von ihrer Krankenkasse ungewöhnlich hohe Beitragsnachforderungen für das Jahr 2019 erhalten haben. Die Betroffenen sollen den Höchstbeitrag von rund 900 Euro monatlich zahlen, weil sie ihren Steuerbescheid für 2019 nicht rechtzeitig binnen einer Dreijahresfrist vorgelegt haben. Reichen die Betroffenen die Steuerbescheide nach, bestehen die Krankenkassen jedoch weiter auf ihren hohen Forderungen – auch dann, wenn sich aus dem Steuerbescheid sehr viel geringere Einnahmen ergeben und der Krankenkassenbeitrag deutlich niedriger sein müsste. Wir halten dieses Vorgehen für rechtswidrig.

Nachforderungen von bis zu 8.000 Euro

Am schlimmsten betroffen sind sogenannte Solo-Selbstständige wie Fußpflegerinnen, Friseurinnen oder Kioskbesitzer, die nur sehr geringe Einkünfte erzielt haben. Die Folgen sind massiv: In den vorliegenden Fällen sind Versicherte mit Nachforderungen von bis zu 8.000 Euro konfrontiert. Die Nachzahlungen von mehreren Tausend Euro kommen zustande, weil die Betroffenen aufgrund ihrer geringen Einkünfte zunächst und vorläufig nur den Mindestbeitrag von rund 200 Euro pro Monat für ihren Versicherungsschutz zahlen mussten. Nun sollen sie auf einen Schlag die Differenz zum Höchstbeitrag von über 750 Euro pro Monat für ein ganzes Jahr leisten.

Anstatt die realen Einnahmen für die Beitragsberechnung heranzuziehen, verlangen die gesetzlichen Krankenkassen den Höchstbeitrag und legen hierfür ein Höchsteinkommen (im Jahr 2019 sind es 54.450 Euro) zugrunde. Je weniger man also verdient, desto größer ist die finanzielle Lücke. Faktisch zahlen die Betroffenen Beiträge auf Einnahmen, die sie gar nicht hatten. Teilweise ist der Krankenkassenbeitrag höher als die monatlichen Einkommen der Mitglieder.

Beispiel

Mit unglaublicher Härte trifft das Vorgehen der Krankenkassen die kleinen Selbständigen, die den Schutz der Solidargemeinschaft eigentlich besonders bräuchten. Es geht um diejenigen, deren Einkommen ohnehin schon gering ist und für die eine professionelle Buchhaltung und eine Steuerberatung teure Dienstleistungen sind, die erst einmal mitverdient werden müssen. Das zeigt auch das Beispiel von Herrn S., der freiberuflich tätig war und seinen Steuerbescheid für das Jahr 2019 erst am 12. Januar 2023 statt Ende 2022 an seine Krankenkasse übermittelte, weil es ihm gesundheitlich schon länger nicht gutging. Der Verzug von wenigen Tagen führte dazu, dass die Kasse 5.707,96 Euro von ihm forderte – den Höchstbetrag für ungefähr neun Monate abzüglich der bereits geleisteten Vorauszahlungen. Herr S. erhob sofort Widerspruch, ließ sich von uns beraten und hat nun eine Klage vor dem Sozialgericht eingereicht.

Nachgereichte Unterlagen bleiben unberücksichtigt

Die Krankenkassen berufen sich auf das Sozialgesetzbuch V. Seit 2018 regelt Paragraf 240 Absatz 4a Satz 4, dass freiwillig gesetzlich Versicherte drei Jahre Zeit haben, ihren Einkommenssteuerbescheid zur Beitragsberechnung einzureichen. Tun sie dies  trotz Aufforderung der Krankenkasse nicht, legt die Kasse zunächst den Höchstbeitrag fest. Aus unserer Sicht bedeutet das aber nicht, dass nachgereichte Unterlagen im Widerspruchsverfahren unberücksichtigt bleiben dürfen und die Beitragsnachforderung faktisch unveränderlich ist. Werden neue Tatsachen bekannt, muss eine falsche Entscheidung korrigiert werden. Im Sozialrecht sind richtige Entscheidungen wichtiger als Fristen!

Unserer Auffassung nach stellt die Vorschrift keine Strafnorm dar, mit welcher die Kassen Beiträge verlangen dürfen, die vom Einkommen völlig losgelöst sind, und die in Kauf nimmt, dass Existenzen vernichtet und Versicherte in eine Schuldenspirale getrieben werden, aus der sie sich nicht mehr befreien können. Hätte der Gesetzgeber solch eine starke Sanktion gewollt, hätte er in den Gesetzestext aufnehmen müssen, dass nachgereichte Unterlagen nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Besonders perfide: Wer nicht zahlen kann, für den ruhen die Leistungen. Betroffene haben nur noch eine Art Notversorgung.

Politik muss handeln

Allerdings handeln alle Krankenkassen geschlossen und das Bundesamt für Soziale Sicherung als Aufsichtsbehörde stützt das Vorgehen der Kassen gegen ihre Mitglieder. Auch eine Klage hilft kurzfristig nicht: Bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung durch die Sozialgerichte würde viel Zeit ins Land gehen. Zeit, in der Kleinselbstständige weiter mit hohen Beitragsnachforderungen konfrontiert und häufig überfordert sind. Die Verbraucherzentralen fordern die Politik auf, tätig zu werden und für eine Klarstellung zu sorgen. 

Unser Rat

Sie sind selbstständig und sollen hohe Beiträge an Ihre Krankenkasse nachzahlen, weil Sie Ihren Steuerbescheid nicht rechtzeitig eingereicht haben? 

Erheben Sie Widerspruch gegen den Beitragsbescheid. Wenn Ihre Krankenkasse Sie auffordert, den Widerspruch zurückzunehmen, folgen Sie dem keinesfalls! Das Widerspruchsverfahren ist notwendig, um die Sache gegebenenfalls vor Gericht bringen zu können. Sollten Sie mit Ihrem Widerspruch nicht weiterkommen, scheuen Sie sich nicht, vors Sozialgericht zu ziehen. Das ist nicht schwer – man hilft Ihnen am Sozialgericht beim Formulieren der Klage und es besteht – anders als bei anderen Gerichten – kein Risiko, Gerichtskosten oder Fremdkosten zahlen zu müssen. Das Gericht kostet Sie nichts. Sie müssen nur das Risiko der Kostenübernahme für Ihren eigenen Rechtsanwalt oder ihre eigene Rechtsanwältin tragen. Doch die rechtliche Vertretung brauchen Sie nicht unbedingt – die Argumente liegen auf dem Tisch.

Wir unterstützen Sie gerne! Vereinbaren Sie einfach einen Termin mit unserer Patientenberatung unter Tel. (040) 24832-130.

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