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Wie die Zuckerlobby forscht und argumentiert

Zucker macht uns krank. Oder doch nicht? Die Welt­gesund­heits­organisation warnt vor einem zu hohen Zuckerkonsum; die Lebensmittelbranche hingegen sieht keinen Handlungsbedarf. Mit welchen zweifelhaften Argumenten und Methoden die Lebensmittelindustrie sich gegen Kritik wehrt.

Frau hält Stift in der Hand und macht Notizen
Stand: 06.11.2023

Studien in Auftrag geben, um positive Ergebnisse zu produzieren und missliebige zu verschweigen. Die öffentliche Meinung durch gezielte PR mit scheinbar stichhaltigen Argumenten bewusst beeinflussen – diese Strategien kannte man bislang vor allem aus der Pharmaindustrie. Doch nun zeigt sich, dass auch die Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten gezielt Informationen in der Öffentlichkeit platziert. Mit welchen Methoden da gekämpft wird und wie schwierig es ist, die Täuschung als Laie zu erkennen, zeigen unsere Beispiele.

Ist Fett schlechter fürs Herz als Zucker?

Eine Analyse interner Dokumente der US-amerikanischen Zuckerindustrie zeigt, dass bereits in den 60er Jahren gezielt führende Forscher bezahlt wurden, um den Zusammenhang zwischen Zucker und Herzerkrankungen zu verschleiern und Fett auf die Anklagebank zu setzen.

Den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Karies konnten die Lobbyisten zwar nicht leugnen, allerdings gelang es ihnen offenbar, die Forschung – zumindest in den USA – in eine andere, für den Absatz weniger schädliche Richtung zu lenken. Dafür wurde die Behörde, die für die Vergabe von Forschungsgeldern zuständig war, massiv beeinflusst.

Zucker verursacht keine Karies?

Der 1977 gegründete sogenannte Informationskreis Mundhygiene und Ernährungsverhalten (IME) pflegt nach eigener Aussage  „(...) Kontakte zu führenden Professoren der Zahnmedizin und Ernährungswissenschaft an deutschen Universitäten und Hochschulen“ und unterhält „(...) ein ständig aktualisiertes, wissenschaftliches Archiv“, um „(...) auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über Zahngesundheit, Kariesprophylaxe und Ernährungsverhalten zu informieren.“

Der IME beeinflusst auf diese Weise die Meinung von Politik, Medien und Öffentlichkeit. Unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit verharmlost er den Zuckerkonsum als Ursache für Karies seit Jahren. Motto: Wenn man regelmäßig gründlich die Zähne putzt, verursacht Zucker keine Karies. Diese Botschaft ist nicht verwunderlich, denn der IME ist ein Tarnverein der Zuckerlobby und wird finanziert von der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker e.V.

Die Argumente der Zuckerlobby und unsere Einschätzung

Knapp 34 Kilogramm Zucker isst jeder Deutsche laut Statistik jedes Jahr. Das ist fast doppelt so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Diese sagt, dass pro Jahr maximal 18,2 Kilogramm freier Zucker verzehrt werden sollte. Trotzdem sieht die Lebensmittelindustrie keinen Handlungsbedarf. Die Zuckerlobby wehrt sich vehement gegen eine bessere Kennzeichnung und bestreitet die Gefahren durch einen hohen Zuckerkonsum.

Diabetes mellitus: Zucker ist kein Risikofaktor

Stimmt nicht, das ist dreist gelogen. Diese Behauptung ist falsch und abseits aller wissenschaftlichen Erkenntnisse. Zucker kann in zweifacher Hinsicht das Risiko an Diabetes mellitus (Typ II) zu erkranken, erhöhen.

Zum einen fördert zu viel Zucker im Essen das Übergewicht und Übergewicht ist ein anerkannter Risikofaktor für diese Krankheit. Süßigkeiten und viele andere süße Lebensmittel verführen zum Naschen und häufig auch zum übermäßigen Naschen. Gleichzeitig werden Lebensmittel mit viel Zucker überall und immer angeboten und zudem noch sehr stark beworben. Mit der Verfügbarkeit von Zucker wiederum steigt weltweit der Anteil an Menschen mit Übergewicht und schwerem Übergewicht (Adipositas). In Deutschland haben etwa zwei Drittel der Männer und knapp die Hälfte der Frauen ein zu hohes Körpergewicht, knapp ein Viertel sind adipös. Die Weltgesundheitsorganisation warnt sogar bereits vor einer weltweiten Epidemie.

Zum anderen haben Studien speziell zu Softgetränken gezeigt, dass Menschen mit einem hohen Softgetränke-Konsum ein deutlich höheres Risiko besitzen, Typ-2 Diabetes zu bekommen. Die Organisation Foodwatch hat im Rahmen einer Marktstudie herausgefunden, dass nur wenige Erfrischungsgetränke weder Zucker noch Süßstoff enthalten. In der Stichprobe waren es lediglich 6 von 463 Produkten. Den wenig schmeichelhaften ersten Platz als zuckerreichstes Getränk der Untersuchung belegte der Energy Drink Rockstar Punched „Energy + Guava“ von PepsiCo. In einer 500-Milliliter-Dose verstecken sich 78 Gramm Zucker (26 Zuckerwürfel!). Zum Vergleich: Die WHO-Empfehlung zur täglichen Zuckeraufnahme von 25 Gramm (6 Teelöffel) wird allein mit einer Dose um das Dreifache überschritten.

Kohlenhydrate sind lebensnotwendig, da der Körper sie als Energiequelle für seinen Stoffwechsel braucht.

Das stimmt, aber es kommt auf die Art der Kohlenhydrate an. Sie sollten überwiegend Kohlenhydrate in Form von Stärke zu sich nehmen, die beispielsweise in Kartoffeln, Nudeln oder Haferflocken enthalten ist. Zucker sollte nur in Maßen, laut Weltgesundheitsorganisation 5 Prozent der Kalorienmenge, gegessen werden. Das sind bei einem durchschnittlichem Kalorienbedarf von 2000 kcal pro Tag entspricht das 25 g Zucker pro Tag.

Der durchschnittliche Pro-Kopf-Absatz von Zucker/Saccharose in Deutschland ist seit 40 Jahren stabil und liegt bei rund 35 Kilogramm pro Jahr.

Das ist nicht richtig, denn es wird nur der sogenannte Haushaltszucker berechnet. Zucker kommt aber zunehmend in Form von Glukosesirup, Maltodextrin oder anderen Zuckerarten in Lebensmitteln vor. Der Anteil dieser „versteckten“ Zucker ist in den letzten Jahren weiter gestiegen und wird von der Zuckerlobby verschwiegen.

Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz, die belegt, dass der Konsum zuckerhaltiger Lebensmittel für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich ist.

Unser Kommentar: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Schon im Jahr 2013 fanden Wissenschaftler heraus, dass die Finanzierung von entsprechenden Studien einen Einfluss auf ihr Ergebnis haben könnten. Demnach stellten unabhängig finanzierte Studien in etwa 80 Prozent der Fälle einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Zuckergetränken und Gewichtszunahme fest; von der Lebensmittelwirtschaft finanzierte Studien hingegen fanden in etwa 80 Prozent der Fälle keinen Zusammenhang.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Studien, die zeigen, dass ein erhöhter Verzehr von Lebensmitteln mit hoher Energiedichte, also vielen Kilokalorien pro 100 Gramm Lebensmittel, einer der Faktoren für Übergewicht ist, sodass Fachgesellschaften und Gesundheitsorganisationen weltweit sowohl für Erwachsene als auch für Kinder empfehlen, die Energiedichte von Lebensmitteln zur Gewichtskontrolle zu reduzieren. Zuckerhaltige Lebensmittel haben in der Regel eine hohe Energiedichte. Ernährungswissenschaftler raten daher zu Lebensmitteln mit einer geringen bis mittleren Energiedichte, um Übergewicht zu vermeiden.

Übergewicht ist die Folge eines Ungleichgewichts von Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch.

Ja, und dieses Ungleichgewicht wird durch Zucker verstärkt, denn Zucker trägt wesentlich zur Energieaufnahme bei und hat einen geringen Sättigungswert, so dass man nach einem gesüßten Schokoriegel schnell wieder Hunger verspürt.

Zucker wie auch andere einzelne Makronährstoffe sind im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung nicht für Übergewicht und andere Krankheiten verantwortlich. Dementsprechend entbehren Werbeverbote oder diskriminierende Sondersteuern auf zuckerhaltige Lebensmittel jeder Grundlage. Steuern oder Werbeverbote machen nicht schlank.

Über eine Zuckersteuer wird immer mal wieder diskutiert – in Großbritannien müssen die Hersteller zuckriger Getränke seit April 2018 eine Abgabe zahlen. Damit werden Gesundheitsförderungsprojekte in Schulen, mehr Sport und besseres Schulessen bezahlt. Zudem sind entsprechende Zuckersteuern in Irland, Frankreich, Ungarn, Finnland und Mexiko in Kraft und seit 2021 auch in Polen. Werbung, etwa in Fernsehsendungen für Kinder oder Online-Spiele mit Süßigkeiten, beeinflussen das Ernährungsverhalten von Kindern, da sie nicht zwischen Werbung und Realität unterscheiden können. Studien zeigen, dass werbefreie Lebenswelten (z.B. Kita und Schule) bei Kindern zu einem gesünderen Ernährungsverhalten führen. Sind an jeder Ecke Süßigkeiten erhältlich oder werden diese in den (sozialen) Medien beworben, dann greifen sie eher zu.

Neben der Einführung der Zuckersteuern in Großbritannien, darf seit Herbst 2022 keine „Quengelware" mehr an Kassen in Supermärkten platziert werden. Seit Oktober 2023 gibt es für „Junkfood" außerdem keine Lockangebote mehr. Eine Studie der Cambridge University legt nahe, dass die Zuckersteuer in Großbritannien die Fettleibigkeit bei zehn- und elfjährigen Mädchen um acht Prozent verringert hat.

Die Behauptung, Zucker könne süchtig machen, hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme beruht unter anderem darauf, dass nach Zuckerverzehr im Gehirn der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird. Eine Dopaminausschüttung ist aber nicht nur nach dem Verzehr von etwas Schmackhaftem wie Zucker, sondern in Folge aller „natürlichen Belohnungen“ messbar. Zudem gibt es wesentliche Unterschiede zwischen dem Reaktionsmuster des Gehirns auf Drogen und dem auf „natürliche Belohnungen“.

Auch darüber wird verstärkt diskutiert, die Abgrenzung zwischen Sucht und „natürlichen Belohnungen“ durch Zucker ist fließend. Hier ist mehr Forschung nötig. Die ernährungsabhängigen Krankheiten durch zu viel Zucker kosten Milliarden und führen zu großem persönlichen Leid. Es wäre angemessen in diesem Bereich mehr zu forschen und die Studien nicht durch Geld der Zuckerlobby zu finanzieren.

Unsere Forderungen

Schluss mit der Wissensmanipulation! Unternehmen und ihre Lobbyorganisationen sollten offenlegen müssen, welche vermeintlich neutralen Vereine und Initiativen sie finanzieren. Dieser Forderung schließt sich die Verbraucherzentrale Hamburg an.

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