Die Achtziger: Wende und Zukunftsangst

Silke Schwartau, Fachbereichsleiterin Ernährung, im April 1997: "Zu meiner Einstiegszeit 1980 kam die ökologische Wende. [..] Ich haben während meines Praktikums hier dann mit meiner Kollegin eine Broschüre zusammengestellt "Schadstoffe in unserer Nahrung". Wir haben so eine Lose-Blatt-Sammlung geplant, aber es kamen so viele Anfragen, dass wir ganz schnell auf eine feste Broschüre umschwenken mussten. Wir haben wirklich waschkorbweise Post bekommen und die Broschüre wurde über eine halbe Millionen mal verkauft."

Cadmium, Thyreostatika, Psychopharmaka, Östrogen, Nitrin, Benzpyren - auf diese mögliche "Zutatenliste" von Fleisch weist eine vielbeachtete Ausstellung im Jahr 1982 hin. "Was ist los mit dem Fleisch?" fragen die Ernährungsberater und kommen zu der Antwort: Die Fleischqualität wird immer schlechter. Die Verbraucher-Zentrale fordert unter anderem eine veränderte Massentierhaltung, eine Kontrolle in der Vergabe von Tierarzneimitteln und eine gesetzliche Festlegung von Schwermetall-Höchstwerten in Futtermitteln.

Ungewöhnlich viele Einkommensschwächere nutzen 1983 die Beratung der Verbraucher-Zentrale. Das Thema: Sittenwidrige Ratenverträge. Die Verbraucher-Zentrale beginnt in mühsamer Kleinarbeit, sich für die neue Aufgabe schlau zu machen - mit Erfolg. Edda Castelló, Abteilungsleiterin Verbraucherrecht, Finanz- und Gesundheitsdienstleistungen, sagte im April 1997: "Durch die Wechselwirkung - Leute beraten, noch einen sittenwidrigen Kredit finden, die Bank anprangern, die Öffentlichkeit informieren, Auswertungen vornehmen - haben wir dieses Thema richtig hochgekocht. Und so kam es mit der Zeit dazu, dass sittenwidrige Ratenkredite mit den überhöhten Krediten jetzt praktisch verschwunden sind."

Gemeinsam mit der Landesstelle für Suchtgefahr untersucht die Ernährungsabteilung 1985 zahlreiche Lebensmittel auf Alkoholbestandteile und Alkoholaromastoffe. Das Ergebnis: auch ohne Cognacbohnen zu servieren lässt sich ohne mühe ein stark alkoholhaltiges Menü zusammen-stellen. Für Alkoholabhängige und Kinder stellen die zum Teil schlecht gekennzeichneten Alkoholmengen eine Gefahr dar. Informationen über den Alkoholgehalt bietet ein Faltblatt und eine Liste der Lebensmittel mit "Schuss"

1986 kommt es zur Katastrophe in Tschernobyl. Die Ernährungsberaterinnen arbeiten bis zur Erschöpfung. Die Verbraucher-Zentrale ist für die meisten ratsuchenden die einzige Informationsstelle, da die Veröffentlichungen durch Behörden häufig nicht ausführlich genug oder nicht auf bestimmte Gruppen wie Schwangere oder Eltern von Kleinkindern zugeschnitten sind. Die zunächst fast täglich und später wöchentlich herausgegebenen Merkblätter mit Meßwerten und Ernährungsempfehlungen werden den Mitarbeitern förmlich aus den Händen gerissen.

Bernhard Rosenkranz, Abteilungsleiter Ernährung, Umwelt, Energie im April 1997: "Die extremste Nachfrage, die wir je hatten, war beim Thema Katzenstreu. Da gab es ein Testergebnis, dass einige Anbieter asbesthaltige Streufasern benutzen. Da haben wir wirklich in allen Abteilungen im gesamtem Haus nur zu Katzenstreu beraten. Egal was man von der Ausbildung her war, nur zum Thema Katzenstreu. Und was interessant war: Es ging nicht um die eigene Gesundheitsgefährdung, sondern darum, ob die Katze nicht Krebs bekommt. Das hat selbst die Anfragen bei der radioaktiven Belastung nach Tschernobyl oder bei der Rinderseuche BSE übertroffen."

Als Wegweiser im Gesundheitsdschungel wird die erste Patientenberatung in Trägerschaft einer Verbraucher-Zentrale im Mai 1988 von Gesundheitssenatorin Christine Maring eröffnet. Mehr als 1000 Personen - in der Mehrheit Frauen und ältere Menschen - suchen in den kommenden acht Monaten bis Jahresende Hilfe bei den Patientenberatern. Sie werden in medizinisch-rechtlichen Fragen beraten, bei Schadensersatzansprüchen unterstützt sowie über Selbsthilfe und soziale Einrichtungen informiert.

Eine völlig neue Aufgabe bekommt die Verbraucher-Zentrale mit der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze am 9. November 1989. In Strömen kommen DDR-Bürger zum Einkauf nach Westdeutschland - eine leichte Beute für Betrüger. Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ist für die meisten so neu, dass sie erst die Grundregeln des Konsumalltags kennenlernen müssen. Die Verbraucher-Zentrale bietet sich als Hilfe für Reklamationsprobleme und als Anlaufstelle für Informationen vor dem Kauf an.